Building Caring Cities from Below
2025-09-14 , Green Tent
Language: Deutsch

Workshop zur emanzipatorischen Politisierung des Alltags mit xenofeministischen Protokollen

Wenn das Private politisch sein soll — wie genau wird es dazu? Wie können wir uns in unseren Nahbeziehungen so organisieren, dass wir als widerständige Bewegungen handlungsfähiger werden? Wie lassen sich Formen von Alltag und Community, die an unserer Ohnmacht nichts oder nur zu wenig ändern, konstruktiv in Frage stellen und strukturiert überwinden? Wie können Fürsorge-Politiken und Umverteilungen von privatem Wohlstand skaliert werden? Und wo anfangen auf dem Weg zu einer Sorgenden Stadt, die Widerstand gegen Herrschaftsformen reproduzieren hilft und das gute Leben für alle greifbar macht?

In diesem Workshop lassen wir die Kampagne „Building Caring Cities from Below“ diese und weitere Fragen aufwerfen. Und sich mit ihren Zielen vorstellen — und mit ihren Werkzeugen. Im Fokus stehen dabei verschiedene xenofeministische Protokolle, die bei der emanzipatorischen Politisierung des eigenen Alltags und der privaten Nahbeziehungen helfen können, sowie erste Erfahrungswerte zur Anwendung der Protokolle. Die Teilnehmer*innen haben die Möglichkeit, nach eigenem Interesse ausgewählte Protokolle besser kennenzulernen:

  • Zur regelmäßigen Aushandlung verschiedener Dimensionen der emanzipatorischen Organisierung innerhalb bestehender Nahbeziehungen / Communities durch Care Plena
  • Zur Etablierung von belastbaren und ausgewogenen, geschlechterübergreifenden Care-Strukturen in Form von Care-Myzelen
  • Zur Gestaltung von Care-Brigaden bei konkreten größeren Problemstellungen
  • Zur Vermittlung zwischen verschiedenen Care-Organisierungsformen, formell wie informell

Der Workshop richtet sich an alle, die nach Wegen suchen, Care und das Privatleben (noch effektiver) emanzipatorisch zu politisieren, die Interesse am Konzept der xenofeministischen Protokolle haben und/oder die Strategien erarbeiten oder weiterdenken wollen, wie wir die Sorgende Stadt widerständig verwirklichen können.


Die "Caring City" - "Sorgende Stadt" ist eine konkrete Utopie, die sich aus verschiedenen internationalen feministischen Kämpfen herauskristallisiert hat. Städte, die nicht Kulisse eines gehetzten Alltags sind, in dem nur die gut versorgt werden, die gute Beziehungen haben und es sich leisten können, sondern als Orte des öffentlichen Luxus, des guten Lebens für alle, mit Versorgungsstellen in höchstens 15 Minuten Entfernung. Städte, in denen nicht fossile Macho-Kultur dominiert, sondern feministische Kämpfe sich zusammenschließen und sich gegen patriarchale Ausbeutung und Carelessness sowie gegen kapitalistische Logiken in zunehmend allen Bereichen des Lebens durchsetzen.

Soweit die Utopie - die aktuell in großer Ferne zu liegen scheint. Dabei wären emanzipatorische Versorgungs- und Fürsorgeinfrastrukturen in unseren Städten wichtiger denn je. Die sich verschärfenden gesellschaftlichen und klimatischen Krisen lassen immer mehr Menschen betroffen und ohnmächtig zurück. Progressiven Bewegungen fehlt es an konkreten Zielen, während Konservative und Rechte an sehr konkreten, menschenverachtenden Plänen beständig weiterarbeiten. Und vielen emanzipatorischen Akteuren geht immer öfter die Puste aus, woraufhin sie dann meistens irgendwann doch bei Lohnarbeit, Kleinfamilie oder Einsamkeit landen.

Wir brauchen andere und bessere Care-Infrastrukturen, um langfristig das gute Leben für alle zu ermöglichen; um mittelfristig konservativen und rechten Dystopien etwas entgegenzusetzen; und um kurzfristig uns selbst bei unseren Bestrebungen, patriarchale, kapitalistische und andere alltägliche Gewalt zu bekämpfen und zu beenden, besser zu versorgen.

Dabei können wir immer weniger auf politische und institutionelle Akteure setzen. Politisch gibt es auch auf kommunaler Ebene kaum noch Chancen, umfassende Maßnahmen einer Reprioriserung städtischer Budgets im Sinne der Caring City (wie es in Barcelona oder Madrid zumindest einige Jahre gelang) durchzusetzen. Und auch andere urbane Institutionen bewegen sich entweder selbst weiter nach rechts oder haben massive Finanzierungsprobleme und einen extremen Anpassungsdruck an neoliberale Förderungsprogramme.

Deshalb müssen wir die Caring City "from below" aufbauen, wenn wir es ernst meinen mit ihr. "Von unten" - also nicht ausgehend von Verwaltung, Stadt- oder gar Landespolitik, oder von anderen institutionellen Akteuren. Sondern von unserer Selbstorganisierung aus. Wir müssen uns selbst in unseren Räumen, Nahbeziehungen, Netzwerken so organisieren, dass wir die Caring City im kleinen bereits ein bisschen realisieren. Und dabei aufs ganz große Zielen, und von Anfang an auch an der Vernetzung mit anderen emanzipatorischen Akteuren arbeiten, sowie die Konfrontation mit Konservativen und Rechten Menschenfeinden vorbereiten.

Wenn wir "von unten", also bei uns selbst ansetzen, stellt sich die Frage nach dem wie. Eine mögliche Antwort liefert der Xenofeminismus. Als strömungsübergreifende antinaturalistische Perspektive verbindet er cyber-, queer- und materialistisch-feministische Ansätze, mit dem Ziel, Feministinnen zu befähigen, nicht nur das eigene Leben, sondern die Welt insgesamt zu verändern. Ausgangspunkt ist das Fremde (xénos), konkret: Unsere eigene Entfremdung von einem menschenwürdigen Leben, sowie die Befremdung, die wir spüren, wenn wir traditionelles und vermeintlich "natürliches" in Frage stellen. Xenofeministinnen nehmen die eigene Entfremdung als Ausgangspunkt und orientieren sich an dem, was zunächst befremdlich erscheint, im Sinne einer konsequenten emanzipatorischen Agenda allerdings notwendig ist, um herrschaftsförmige Strukturen zu überwinden, die oft gerade dadurch funktionieren, dass sie allzu vertraut sind und alles Fremde abwerten.

Ein wichtiges Tool dabei sind xenofeministische Protokolle, die je nach Zielsetzung konkrete Kommunikationsschritte und andere Handlungsmöglichkeiten darlegen. Diese Protokoll können uns helfen, unseren Alltag zu hacken. Unser Alltag ist es, der bestehende Ausbeutungs- und Herrschaftsregime stabilisiert und immer wieder neu hervorbringt. Jede Zeit, die wir im Alltag fremdbestimmt gestalten (müssen), insbesondere für Lohn- und / oder Care-Arbeit, geht aufs Konto des Status Quo. Daran können einzelne Aktionen, Demonstrationen, Situationen wenig ändern - kapitalistische, patriarchale und rassifizierende Ausbeutung läuft beständig weiter, spätestens am nächsten Tag, sobald der Kater vom Rausch des Events ausgeschlafen ist. Wenn wir wirklich etwas ändern wollen daran, wie alles läuft, müssen wir weniger auf besondere Anlässe zielen. Und mehr den Alltag an sich greifbar bekommen. Dabei helfen xenofeministische Protokolle, die verschiedene Aushandlungen und Kommunikationsformen strategisch entwerfen und festhalten, und im Alltag greifbar machen, was oft sonst nur bei ganz besonderen Anlässen greifbar wird.

Feministinnen können sich bei der gemeinsamen Aushandlung der eigenen Organisierung auf die Protokolle beziehen. Welche Inhalte am Ende umgesetzt und welche verworfen werden bleibt jeder selbst überlassen. Entscheidend ist, dass durch das Protokoll eine strukturierte, wiederholbare Vorgehensweise festgehalten wird, die der eigenen Aushandlung eine Orientierung bietet. Und auf dem Weg zu einer emanzipierten Gesellschaft ständig überarbeitet und weitergetragen werden kann.

Menschen aus verschiedenen emanzipatorischen städtischen Kontexten haben in den letzten Jahren verschiedene solcher Protokolle entworfen und getestet, um strukturiert und kontinuierlich an Organisierungsformen zu arbeiten, die nicht nur das eigene Leben der darin Beteiligten unmittelbar verbessert, sondern langfristig auf die Verwirklichung der Caring City und des guten Lebens für alle abzielt.

Konkret wurden bereits vier Protokolle mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen entwickelt und getestet:

01 Strukturierung von Einführungsworkshops in die Thematik der emanzipatorischen Care Politics bzw. Caring City auf Basis von Caring Communities

02 Strukturierung eines Ablaufs von Careplena für Caring Communities als Aushandlungsräume der eigenen emanzipatorischen Care Politik

03 Strukturierung der Einführung und aktiven Nutzung von Care Myzelen zur besseren alltäglichen Versorgung von Einzelpersonen in emanzipatorischen Zusammenhängen

04 Strukturierung der Einführung und aktiven Nutzung von Care Brigaden zu Bearbeitung größerer & konkret definierbarer Problemlagen

Wir freuen uns auf den Austausch mit euch zur Perspektive "Building Caring Cities from Below" sowie auf den Erfahrungsaustausch zur Methode der xenofeministischen Protokolle im Allgemeinen und zu den vier Protokollen für ein konkretes building from below im Besonderen!

See also: Kampagneninfo + Protokolle

Building Caring Cities from Below ist eine Kampagne, die in mehreren Städten im deutschsprachigen Raum aktiv ist und darauf abzielt, Sorgende Städte zu errichten - "von unten", also nicht durch Maßnahmen von Stadträten oder anderer etablierter Institutionen, sondern durch gezielte Vernetzung und Organisierung ausgehend von unserer eigenen Bedürftigkeit und unserem eigenen emanzipatorischen Begehren.

Hierfür muss erstmal ein umfassendes Verständnis für Bedürftigkeit und emanzipatorisches Begehren entstehen - für uns und für andere. Wir müssen lernen und vermitteln, als Care Worker zu denken und zu handeln, und dabei unser Begehren nach relationaler, handlungsfähiger Autonomie im individuell und kollektiv bestrittenen Alltag und dem Aufbau widerstandsfähiger urbaner Kontexte ernst zu nehmen. Wir müssen uns und andere Menschen enablen, gemeinsam emanzipatorische Reproduktions-Prioritäten (durch) zu setzen: Welche organisierbaren Kapazitäten und Ressourcen stehen uns zur Verfügung und wer oder was steht uns im Weg hinsichtlich ihrer Nutzbarmachung im Alltag und wie gehen wir zusammen dagegen vor? Außerdem geht es darum, emanzipatorische Care Politics skalieren: Von uns selbst über unsere Friends und politischen Umfelder zu stadtweiten Vernetzungen / Kämpfe und über einzelne Städte hinaus.

Konkret setzen wir an, Xenofeministische Protokolle zu erarbeiten und umzusetzen, die (teilweise aufeinander aufbauend) verschiedene Aspekte der emanzipatorischen Selbstorganisierung hin zur Sorgenden Stadt vermitteln - und die wir in verschiedenen Workshops / anderen Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne anderen nahebringen. Dabei gibt es verschiedene Protokolle mit verschiedenen Themenschwerpunkten und unterschiedlichen Wissensständen
:
01 Grundlagen des Themas emanzipatorische Care Politics / Caring City auf Basis von Caring Communities
02 Careplena für Caring Communities als Aushandlungsräume der eigenen emanzipatorischen Care Politik
03 Care Myzele zur besseren alltäglichen Versorgung von Einzelpersonen in emanzipatorischen Zusammenhängen
04 Care Brigaden zu Bearbeitung größerer & konkret definierbarer Problemlagen
05 Connecting Accross Relationship Experiences - Gemeinsam care emanzipatorisch gestalten im Austausch zwischen verschiedene Care-Konstellationen
06 Vernetzung von Caring Communities mit städtischen Care Einrichtungen und bestehenden anderen Caring City Projekten im Modus emanzipatorischer Bewegung
07 Überregionale Vernetzung von Caring Communities & - Cities

Dabei relevante emanzipatorische Erkenntnisse und Perspektiven sind:
- Sorgende Städte (Barbara Fried / Alex Wischnewski)
- Öffentlicher Luxus (Communia)
- Feministische Vergesellschaftung (bspw. Manuela Zechner)
- Relationale Autonomie (Catriona Mackenzie / Natalie Stoljar)
- Kritik des Alltagslebens in der 4-in-1 Perspektive (Frigga Haug)
- Recht auf Faulheit (Paul Lafargue)
- Rebellisches Engagement (Tine Haubner / Silke van Dyk) - widerständiges Commoning (Indigo Drau / Jonna Klick)
- Group Consciousness (Nancy Hartsock + Mark Fisher)
- Dirty Care (Elsa Dorlin)
- Care Without Community (Mark Fisher + Tine Haubner / Silke van Dyk)
- Xenopolitik (Laboria Cuboniks)